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Seminar-Info


Große Kunst-Sponsoren kürzen ihre Etats oder lösen sich in Luft auf, wie etwa die Investmentbank Lehman Brothers, die auch das Städel Museum in Frankfurt am Main mitfinanzierte. Zugleich wird die "Kulturnation" Deutschland gerade in der Wirtschaftskrise von Kunst als Standortinvestition profitieren. So zeigt im Bereich der Bildenden Kunst die Fülle an Deutschland-Ausstellungen der Letzten Jahre,[1] wie dezidiert kritische Kunstbezüge Richtung Nation, kuratorisch gewendet, in ganz persönliche, subjektive Bekenntnisse zum Standort Deutschland umgedeutet werden. Wir erleben die „kritische Widergeburt von Nationalismus als Kultur.“[2] Individualisierte Leidens- und Leistungsimperative der Kunst werden so zur kulturalisierten Ressource eines subjektivistischen Nationalismus, der vorgibt potentiell jede Differenz produktiv machen zu können.
Spätestens die aktuell verstärkt spürbare Krisenhaftigkeit kapitalistischer Ökonomie erzwingt einen realistischeren Blick auf die Dinge. Anstelle der neoliberalen Euphorie freier, de-regulierter Märkte, tritt mittlerweile in allen Regierungen der genau so neoliberale Streit zwischen Globalisierung und nationalem Protektionismus. Einigkeit herrscht dennoch vor allem darin, dass die Krise endlich Anlass bieten soll den Kapitalismus im Sinne des Gemeinwohls zu „moralisieren“. Das damit nicht vorrangig Green-Peace oder Attac geschmeichelt werden soll verdeutlichte Angela Merkel in ihrer Neujahrsrede 2009: „In der Krise zeigt sich der Gemeinsinn. Dieser Gemeinsinn kann uns jetzt überall voranbringen. (…) Wir Deutschen haben schon ganz andere Herausforderungen gemeistert, im kommenden Jahr werden wir uns daran erinnern.“[3] Ein ebenso nationales Wir-Gefühl war kurz darauf Motivation jener krisengeschüttelten Arbeiterschaft in Großbritannien, die sich in wilden Streiks mit der Forderung „Britische Jobs für britische Arbeiter“ den zuvor gemachten Versprechungen ihrer Labour-Regierung besinnten. Und so verdeutlicht sich die Kehrseite jenes kulturalisierten National-Gefühls, dessen differenz-bejahenden Ideale den Bestimmungen einer grundsätzlich prekären politischen Ökonomie unterliegen. So lang der Laden läuft werden alle Differenzen, für die es genug Arbeit gibt toleriert. Zumindest so lang bis die nächste Krise die ökonomische Legitimation dazu liefert das Inventar an „Human-Resourcen“ national neu zu sortieren.
Die aktuelle Situation verdeutlicht also die Dringlichkeit einer Kritik der Nation. Für uns als Künstler_innen stellt sich dabei die Frage danach, wie der Nationalisierung im und aus dem Kunstfeld heraus entgegnet werden kann. Die Kunst, die ihre Selbstbestimmung jenseits der Idealisierung neoliberaler Subjektivismen von „Ich-AG“ bis „Du-bist-Deutschland“ sucht, wird ihre realistischen Möglichkeiten neu diskutieren müssen. Das kulturelle Widererstarken nationalistischer Romantizismen erfordert so auch die Aktualisierung einer realistischen Haltung der Kunst. Es geht um Realismus[4] – eine realistische Kunstpraxis also, die die nationale Naturalisierung der Gegenwart konfrontiert. Zugleich scheint es jedoch als hätte Kunst mehr mit Polizei gemeinsam als mit Politik. Die romantischen Wurzeln der Kunst dienen nach wie vor als Werkzeug subjektivistischer Normalisierung, auch wenn Künstler_innen als Subjekte der Aufklärung immer auch zu konkreten Formen von Solidarität befähigt sind. Wir wollen Realismus also als solidarische Kunstpraxis diskutieren, in Opposition zu jenem Kultur-Nationalismus und dessen Ressourcen in der Kunst. Dabei geht es nicht um bloßes Reenactment des geschichtlichen Referenzrahmens der verschiedenen Realismus-Debatten und -Strategien der Kunst seit beginn des 19. Jahrhunderts, sondern um dessen kritische Aktualisierung. Realismus muss ständig neu entwickelt werden, im spezifischen Verhältnis zu den je historischen Krisenbedingungen.

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[1] wie etwa „Made in Germany“, Hannover 2007 oder „Vertrautes Terrain“, ZKM Karlsruhe 2008. Und im Jahr 2009 aus Anlass des 60. Geburtstags der BRD: „Flagge zeigen?“, Haus der Geschichte Bonn, „60 Jahre 60 Bilder“, Martin-Gropius-Bau Berlin und „2000 Jahre Varus Schlacht. COLOSSAL – Kunst Fakt Fiktion“, Osnabrück 2009. Die Kulturstiftung des Bundes fördert mit dem Themenschwerpunkt „Deutschland 2009“ gleich mehrere Projekte in unterschiedlichsten Kunstbereichen, u.a. das Theaterprojekt „60 Jahre Deutschland – Annäherung an eine Unbehagliche Identität“ oder die Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg: Deutsche Positionen 1945 – 1989“ im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und im DHM Berlin. Auch im Kino wird National-Geburtstag gefeiert: „Deutschland 09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation“ in Zusammenarbeit mit den derzeit bekanntesten deutschen Star-Regisseuren.

[2] Max Klebb in „Die Absage an die Nation Kollektivieren“, unveröffentlichtes Manuskript (2009).

[3] Zitiert nach Ivo Bozic: „Wollt Ihr den Normalen Krieg?“, in Jungle World Nr. 2, Januar 2009 (http://jungle-world.com/artikel/2009/02/32405.html )

[4] Vgl. die Realismus-Debatte der Realismus AG // Freie Klasse FFM im Online-Magazin „Realismus!“ (2008): http://realismworkinggroup.wordpress.com/vorwort/